Stellungnahme der ÖGS: Sexuelle Bildung verteidigen

Sexualpädagogik muss als fester Bestandteil des Bildungs- und Gesundheitssystems in allen schulischen und außerschulischen Einrichtungen verankert werden. Es geht dabei nicht nur um die Vermittlung von Wissen über Fortpflanzung und Prävention von Krankheiten, sondern um eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit Sexualität, Identität, Beziehung und Körperlichkeit – für Menschen jeden Alters. Die Einschränkung oder Verhinderung dieser Bildung ist nicht nur unverantwortlich, sondern gefährdet aktiv die Gesundheit und Selbstbestimmung zukünftiger Generationen.

Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung

Sexuelle Bildung unterstützt Menschen dabei, ihre eigene Identität zu verstehen, gesunde Beziehungen zu führen und ein selbstbestimmtes Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität zu entwickeln. Sie ermöglicht es, eigene Wünsche und Grenzen zu erkennen, diese zu kommunizieren und respektvolle Beziehungen zu gestalten. Das trägt maßgeblich zur psychischen und körperlichen Gesundheit bei. 1,2

Sexualität ist ein lebenslanger Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Darum braucht es altersgerechte, entwicklungsentsprechende Bildungsangebote – von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter. Nur so kann gewährleistet werden, dass Menschen fundierte, informierte Entscheidungen über ihr sexuelles und reproduktives Leben treffen können.

Aktuelle Ergebnisse des Gender-Gesundheitsberichts Österreich 2024 zeigen klar: Jugendliche fordern mehr und bessere sexuelle Bildung. Themen wie Vielfalt, Konsens, Körperwissen und Schutz vor Gewalt werden aus ihrer Sicht unzureichend behandelt. 3 Die Politik ist gefordert, diesem Bedarf gerecht zu werden und umfassende, diskriminierungsfreie Sexualpädagogik endlich flächendeckend zu garantieren.

Kinderschutz und Schutz vor sexualisierter Gewalt

Wer sexuelle Bildung einschränkt, gefährdet Kinder und Jugendliche. Eine fundierte Sexualpädagogik ist eines der wirksamsten Mittel zur Prävention sexualisierter Gewalt. Kinder, die früh lernen, ihren eigenen Körper und ihre Grenzen zu verstehen und eine Sprache dafür zu haben, sind weniger anfällig für Übergriffe. Sie entwickeln ein Bewusstsein für ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung und können sich eher gegen unerwünschte Annäherungen zur Wehr setzen.1,4,5

Darüber hinaus fördert sexuelle Bildung ein kritisches Verständnis von Machtverhältnissen, Konsens und Abhängigkeiten. Sie vermittelt Wissen über rechtliche Grundlagen  und Unterstützungsangebote – insbesondere für vulnerable Gruppen wie Kinder, Jugendliche und Menschen mit Behinderungen 2,3. Wer sexuelle Bildung verhindern will, stellt sich damit gegen effektiven Kinderschutz.

Gleichberechtigung, Vielfalt und Schutz vor Diskriminierung

Sexuelle Bildung ist ein zentraler Ansatzpunkt für Geschlechtergerechtigkeit5 und gesellschaftliche Vielfalt. Sie ermöglicht es, stereotype Rollenbilder zu hinterfragen, sensibilisiert für Diskriminierung und fördert die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen5.

Gerade in einer Zeit, in der rechtskonservative Kräfte verstärkt versuchen, traditionelle Geschlechterrollen zu zementieren und queere Identitäten unsichtbar zu machen, braucht es eine starke, emanzipatorische Sexualpädagogik. LGBTIQA+ Personen sind weiterhin von struktureller Diskriminierung und Gewalt betroffen – auch in Österreich6. Eine inklusive, diversitätsbewusste Sexualpädagogik stärkt junge LGBTIQA+ Personen in ihrer Identitätsentwicklung, schützt sie vor Stigmatisierung und Ausgrenzung und trägt in der Gesamtgesellschaft dazu bei, Vorurteile abzubauen und Empathie für unterschiedliche Lebensrealitäten zu entwickeln.

Sexuelle Bildung als Menschenrecht – ein Appell an die Politik

Sexuelle und reproduktive Rechte (SRHR) sind international als fundamentale Menschenrechte anerkannt.7 Die Standards für Sexualaufklärung in Europa der WHO/BzgA betonen, dass sexuelle Bildung eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist1 – sie in Frage zu stellen, gefährdet die Förderung von Gleichberechtigung, Gesundheit und Schutz vor Gewalt.

Auch in Österreich existiert mit dem Grundsatzerlass Sexualpädagogik (2017)8 ein klarer Rahmen für schulische Sexualbildung. Doch in der Praxis wird dieser unzureichend umgesetzt.3 Politische Entscheidungsträger*innen sind gefordert, endlich Verantwortung zu übernehmen: Sexuelle Bildung muss als verbindliches und flächendeckendes Bildungsangebot sichergestellt werden – durch verpflichtende Verankerung in Lehrplänen, die Qualifizierung von Fachkräften und ausreichende finanzielle Mittel für Bildungs- und Beratungseinrichtungen.

Sexuelle Bildung verteidigen – gegen Rückschritt und Ideologie

Die ÖGS warnt nachdrücklich vor den Konsequenzen einer ideologisch motivierten Einschränkung der Sexuellen Bildung. Ein Verbot oder die Verwässerung sexualpädagogischer Inhalte bedeutet nicht Neutralität – es bedeutet Unterdrückung und Desinformation. Es sind vor allem Kinder, Jugendliche, Frauen und LGBTIQA+ Personen, die den Preis für solche Maßnahmen zahlen.

Die ÖGS fordert daher die politische Verankerung einer inklusiven, lebenslangen Sexuellen Bildung in Österreich. Dies erfordert eine konsequente Implementierung in Lehrpläne, die Qualifizierung von Fachkräften und die Bereitstellung von Ressourcen für Bildungs- und Beratungseinrichtungen. Politische Entscheidungsträger*innen müssen Verantwortung übernehmen und sicherstellen, dass eine evidenzbasierte, diskriminierungsfreie Sexuelle Bildung nicht nur erhalten, sondern ausgebaut wird.

Sexuelle Bildung ist keine Option, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Sie schützt, stärkt und befähigt. Wer sie angreift, gefährdet grundlegende Menschenrechte und riskiert die Gesundheit und Selbstbestimmung künftiger Generationen.

Wir fordern die Politik auf, sich klar für eine umfassende, wissenschaftlich fundierte und diskriminierungsfreie Sexuelle Bildung zu positionieren – für eine gerechte, aufgeklärte und zukunftsfähige Gesellschaft.

Zur vollständigen Stellungnahme der ÖGS “Sexuelle Bildung verteidigen”

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